Jessica
Hausner |
FILMOGRAPHIE 1996 Flora (25’) Aaton Prize, Locarno 1996 New Cinema Prize, Viennale 1997 Grand Prix Européen, Angers 1999 1999 Inter-View (48’) Prix Spécial du Jury, Cinéfondation, Cannes 1999 2001 Lovely Rita (80’) Sélection Officielle, Un Certain Regard, Cannes 2001 Vienna Film Award, Viennale 2001 Prix FIPRESCI, Mention Spéciale, Viennale 2001 2004 Hotel (74’) Sélection Officielle, Un Certain Regard, Cannes 2004 |
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Ich empfinde die Wirklichkeit,
die sich mir zeigt, als partiell, bruchstückhaft und unsicher, als
ein Puzzle, dessen wichtigste Teile verlorengegangen sind. Wir alle versuchen,
die Lücken zu füllen, Zusammenhänge und Erklärungen
zu finden. |
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Ein etwas anderer Thriller Meine Phantasie und Vorstellungs-kraft
sind natürlich von meinem kulturellen Umfeld geprägt. Zu der
Zeit, als ich am Drehbuch von HOTEL schrieb, habe ich viele Ge-schichten
und Märchen aus Öster-reich gelesen. Die Elemente, die sich
auf die germanische Mytho-logie beziehen, hier vor allem der Wald und
die ”Waldfrau”, gehören ebenfalls dazu. Sie sind Zeichen,
die für etwas dahinter Verborgenes stehen. Hotel handelt auf verschie-dene
Weise mit Zeichen. Zum Beispiel die Verwendung des Genres: Für mich stand im Vordergrund,
eine gewisse Ambiguität zuzulas-sen. Die Lösung eines Rätsels
liegt weder in den übernatürlichen noch in den rationalen
Aspekten irgend-eines Ereignisses. |
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Geschichten und Schreiben Vor nicht allzu langer Zeit habe ich einem kleinen Mädchen die Märchen der Gebrüder Grimm vorgelesen, und das Mädchen liebte diese Geschichten. Dabei sind sie sehr brutal - da können schon mal Hälse abgeschnitten oder Hände abgehackt werden - und erinnern uns daran, wie gefährlich die Welt ist. Angst lehrt uns vorsichtig zu sein. ?Auch ich bin von diesen Geschichten fasziniert. Sie erzählen, dass Gut und Böse nebeneinander existieren, dass man einmal Glück haben und gewinnen kann und das nächste mal wieder nicht. In ihrer Brutalität vermitteln sie eine sehr realistische Sicht der Welt. Das Schreiben des Drehbuchs von HOTEL steht in einer recht engen Beziehung zu Märchen, lassen diese doch - wie meine eigenen Skripts - oft eine sehr einfache Struktur erkennen. |
Ich habe schon immer ein gespaltenes
Verhältnis zu den Filmen von Hitchcock gehabt, was zweifellos darauf
beruht, dass der Schlüssel zu seinen Filmen darin liegt, die Psyche
seiner Charaktere zu dekodieren. Diese Lösungsideen interessieren
mich weniger. Was mich allerdings begeistert, ist die Art und Weise, wie
er eine Szene gestaltet und schneidet, er erzeugt eine geheimnisvolle
dramatische Spannung, die mit dem Klima, das ich in HOTEL schaffen wollte,
korrespondiert. Es gibt eine Szene in “Vertigo”, in der James
Stewart und Kim Novak in einem Wald sind. An einer Stelle macht sie ein
paar Schritte zurück in den Schatten. Die nächste Einstellung
zeigt diese Szene aus der Sicht von James Stewart, der sie nicht mehr
sehen kann, bis sie plötzlich wieder auftaucht. Ich finde hier Einstellung
und Schnitt faszinierend. Ich stelle mir HOTEL genauso vor, eine Komposition
aus seltsamen, unbegreiflichen Augenblicken, in denen Menschen jemanden
beobachten oder sich beobachtet fühlen und Worte hören, die
sie nicht verstehen. Ich wollte ein Gefühl von Spannung erzeugen,
die sich aus dem Stil und dem Schnitt aufbaut, aber nicht von einer konkreten
Bedrohung ausgeht und auch nicht durch simples Dekodieren der Motivationen
der Charaktere gelöst werden kann. |
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Ausgangspunkt war eine Idee
für einen Kurzfilm, die ich vor längerer Zeit hatte: eine
Frau erhält Drohanrufe am Telefon, bekommt Angst und ergreift verschiedene
Maßnahmen, um sich zu schützen, während sie gleichzeitig
versucht, die ganze Angelegenheit zu verdrängen. Sie spürt
also den kalten Hauch der Endlichkeit ihres Daseins, gleichzeitig kann
sie nicht wahr haben, dass ihr Leben tatsächlich in Gefahr ist.
Sie glaubt weiter, alles wird so bleiben wie bisher. Am Ende wird die
Drohung wahr gemacht und das Leben der Frau beendet. |
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Das Mädchen aus LOVELY RITA hatte ebenfalls viele Emotionen, die tief in ihrem Innersten verborgen waren und nicht an die Oberfläche kamen. Psychologisch betrachtet bin ich davon überzeugt, dass es keine Regeln und keine feste Formel gibt, dass die nicht voraussagbaren Phänomene dominieren. Den Menschen ist mit Logik nicht beizukommen, und ich bin auch nicht daran interessiert, eine künstliche Logik zu konstruieren. Wie oft fragt man sich, was dieser
oder jener Mensch sich wohl dabei gedacht haben mag, was er fühlen
mag- wie oft versucht man, den anderen zu begreifen, zu erklären,
warum jemand wohl so handelt wie er handelt- um festzustellen, dass die
menschliche Seele rätselhaft und jeder eine Insel inmitten des Ozean
ist. Jeder ist einzeln, so sehr er sich auch sehnt nach der Überschreitung
dieser Einsamkeit. |
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Ich glaube, dass man im Leben keine Lösungen und Erklärungen erwarten kann. Eines Tages werden wir sterben und noch immer nicht wissen, warum. In vielen Filmen wird der Eindruck erweckt, dass alles irgendwohin führt, dass das Leben in eine bestimmte Richtung verläuft, dass letztlich alles Sinn hat. Daran glaube ich nicht. Es ist allerdings schwierig zu akzeptieren, dass man nicht alle Schlüsselelemente einer Geschichte kennt. Sobald wir das aber als gegeben hinnehmen, erhöht sich das Vergnügen. Wir werden auf diese Weise mit anderen Blickwinkeln vertraut gemacht und mit Aspekten des Lebens konfrontiert, die eine schablonenhafte Erzählstruktur verdecken würde. |
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Der Tod und das Mädchen Die konventionelle Geschichte, das heißt eine Geschichte, die dank eines dramatischen Klimax Sinn hat, befriedigt mich nicht, allein schon wegen der Komplexität und Unerklärlichkeit der Welt. In meinen Filmen thematisiere ich lieber das Ungleichgewicht und den Zufall. Ein Ereignis folgt ohne logische Begründung dem nächsten, es kommt zu Brüchen und es gibt keinen wirklichen, logischen Schluss; was so wunderbar begann, endet im Desaster, die Bemühungen eines Menschen tragen Früchte oder waren umsonst, und was wir auch tun, am Ende erwartet uns der Tod. Wir wissen nur nicht, wann, wie und warum das passiert. Das Ende von HOTEL vermeidet alles Spektakuläre, und auch die Fäden laufen nicht zusammen, weil der Film genau das zu zeigen versucht: dass sich in Wirklichkeit niemals etwas aufklärt. Wenn Irene im Dunkeln verschwindet, ist das zum Teil ihre Entscheidung, zum Teil ihr Schicksal. Der Film dreht sich einerseits um das heftige Verlangen, alles zu verstehen, was uns zum Erforschen der dunklen Seite unserer Existenz inspiriert, andererseits handelt er vom Tod, den niemand wirklich kennt und der unabwendbar, mysteriös und dennoch ganz normal ist. |
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