ZUM FILM

Andreas und Stefan haben ein glückliches Leben voller Leidenschaft: Gemeinsam mit ihrem geliebten Kater Moses bewohnen sie ein schönes altes Haus in den Weinbergen von Wien, sie arbeiten als Musiker und Disponent in demselben Orchester; sie lieben ihren großen Freundeskreis. Ein Gewalt­ausbruch, plötzlich und unerklärlich, erschüt­tert ihre Beziehung – der blinde Fleck, den wir in uns tragen.

REGIESTATEMENT

 

MOSES

Du hast dich ursprünglich gar nicht nach einer solchen Zweisamkeit gesehnt. Aber dann läuft dir ein streunender Kater zu, und es ist um dich geschehen. Plötzlich kommu­ nizierst du mit einem empfindsamen, eigen­ willigen Wesen, das dir seiner Natur nach „fremd“ ist, das die Welt gewiß anders wahr­ nimmt als du, mit anderen, dir zum Teil unbekannten Bedürfnissen, das vor allem mit seinem Verhalten zu dir spricht – in jedem Augenblick ist das berührend, aufregend, oft auch herausfordernd. Was und wie empfin­ det, träumt, erwartet, denkt… fürchtet, wit­ tert, kennt, erinnert, ahnt das Tier? Dem Griff ins warm-vertraute, weiche Fell folgt ein fremder Blick.

ADAM UND ADAM

Das Unerklärliche, das sich zwischen Andreas und Stefan schiebt – Stefans Tat, die auch ihm selbst unbegreiflich ist – läßt sich nicht „auflösen“. Von mangelnder Impulskon­ trolle ist in einem solchen Fall beim Psycho­ therapeuten die Rede – woher aber kommen die Impulse? Ein blinder Fleck, ein kaum in Worte zu fassender Rest von Unberechen­ barkeit lauert in mir: ein winziges Schwarzes Loch ohne Moral, ohne Gewissen, ohne Mitleid, ohne Gnade; die Möglichkeit von Brutalität, die unter Umständen ausbrechen kann. Und doch leben wir auch von Ent­ scheidungen. Dann führt ein Augenblick zur Versöhnung. Und ein böser Baum wird zu Brennholz geschnitten.

 

INTERVIEW

MIT KARIN SCHIEFER, AFC

KARIN SCHIEFER: Der Film eröffnet mit einer Serie an Gemälden aus den dreißiger Jahren, die im Wiener ORF Funkhaus zu sehen sind. Inwiefern sprechen diese Bilder, um KATER damit zu eröffnen? Waren die Dichte, die in der Momentaufnahme eines Gemäldes enthalten ist, die Kontemplation, die damit verbunden sein kann, auch pro- grammatisch für die narrative wie visuelle Sprache dieses Filmes?

HÄNDL KLAUS: Diese Wandbilder sind im Probensaal des Orchesters, der ein wichti­ ger Ort für die Hauptfiguren ist. Schon bei der ersten Motivbegehung war das für uns wie eine Einladung in ihre Welt, weil wir da ganz unerwartet Szenen aus dem Drehbuch wiederfanden – lauter kleine paradiesische Augenblicke, das Ballspiel, und den Tanz, und zwei Knaben mit einem Segelboot am See, unschuldig nackt, und sogar eine Gruppe von Rehen… Außerdem ist diese erdfarbene Malerei unserm Hauptmotiv verwandt, einem wunderschönen Haus in Hernals, das von einem amerikanischen Architekten zu dieser Zeit entworfen wurde. Vier Ausschnitte aus der Malerei haben wir dann im Sinn einer Ouvertüre mit Musik­ stücken verbunden, die später im Film echte Handlungsträger sind, wenn das Orchester Ravel und Schubert probt oder Stefan ver­ zweifelt Bach hört und Andreas die Intimen Briefe von Janáček.

 

Suche ich zunächst einmal nach thematischen Verbindungen zu Ihrem ersten langen Spielfilm MÄRZ, dann stehen da die Trauer und der Verlust zum einen, und darüber schwebend auch in KATER wieder ein großes Fragezeichen, etwas Unerklärbares, Un- erklärtes, ein unlösbares Rätsel. Sind damit die Themen, die Sie nicht loslassen, auf den Punkt gebracht?

Ja, ich glaube, dass ich mich bis zuletzt daran aufreiben muss. Weil ich mir unser Dasein nicht erklären kann – und ich hab nicht den Trost einer Religion. Aber dieses Mitei­ nander, dem man gar nicht entkommen kann, ob man will oder nicht… das alles ist, was wir im Grund haben, als Segen und Fluch. Ich spür nur, wie gefährdet alles ist. Wie wenig schon genügt, damit etwas bricht. Und dass man immer nach einem Halt sucht – auch nur, wenn zum Beispiel Stefan nach dem Grab fragt. Den Ort nicht zu kennen, an dem man trauern kann – sodass alles zum mög­lichen Trauerort wird, das ganze Haus – das ist die schlimmste Strafe, die es für ihn geben kann. Drum war auch das tote Rehkitz im Wald so wichtig, das er mit einem Ast bedeckt, wie zum Trost.

 

Was in MÄRZ in einer Dorfgemeinschaft und in einer Familie verhandelt wurde, fokus- siert sich in KATER auf die Liebesbeziehung und die Intimität zwischen zwei Menschen. Als wäre eine weitere Schale oder Schicht ab- getragen in Ihrem Ergründen dessen, was es denn nun ist, was zwei Menschen zusam- menführt und zusammenhält.

Das treibt mich wirklich um. Ich bin umgeben von so viel Bedrohlichem. In mir ist das auch, was haust da in mir und lauert? Warum schäme ich mich so oft? Woher rührt meine Scham? Ich habe Berge von Schuld auf mich geladen. Ist es das, was mich dermaßen misstrauisch macht? Und manch­ mal kehrt sich das aber um. Das ist dann das Erstaunlichste. Dass ich plötzlich eine unsagbare Zärtlichkeit empfinde für Men­ schen, die mir lange nicht geheuer waren. Wie ein Verstehen, eine befreiende Nachgie­ bigkeit. Das beschäftigt mich stark. Und wie ich selbst mich verändere. Was im Lauf der Jahre mit mir geschieht. Allein nur schon in meiner Sexualität, es kommt mir vor, als hätte ich da wenigstens vier große Meta­ morphosen durchlebt. Wie sehr das alles in Fluss ist.

 

Der Kater Moses ist das Verbindungswesen zwischen diesen beiden Männern, beide sind dieser Katze in gleicher Intensität zu- getan. Mit ihrem Verschwinden reißt eine Brücke zwischen ihnen ab. Ich glaube zu wissen, dass Sie selbst einem Kater sehr verbunden sind. Können Sie etwas über die Verbindung mit einem Tier erzählen. Welche Kraft, welche Bedeutung es haben kann.

Dass man eben nie mit letzter Sicherheit weiß, woran man ist – wie es diesem an­ dern Wesen wirklich geht; es kann sich ja nicht in meiner Sprache artikulieren, auch wenn es mich gekonnt nachahmt oder Klangmuster aufgreift, also klagend oder fordernd „spricht“. Ich muss eine andere Aufmerksamkeit entwickeln, ich bin ständig dabei, zu interpretieren – aber der Spiel­ raum für Missverständnisse ist groß, und etliches lässt sich zugunsten der gemein­ samen Beziehung auslegen, obwohl es in Wahrheit „fremder“ gemeint ist, als ich’s gern hätte. Und doch ist ein Band des Ver­trauens zwischen uns, dieser Kater kommt auf mich zu, und ich bin eindeutig sein Be­ zugswesen.

„Und doch ist ein Band des Vertrauens zwischen uns.“

Was Stefan und Andreas verbindet, ist zum einen die Musik, zum anderen die Natur, der Garten, das Essen. Es scheinen die Elemente zu sein, die sie mit der Welt verankern?

Ja, schon, das Grundlegende. Die Dinge, zu denen man greift, die einen mit dem Leben im Sinn auch einer Lebendigkeit verbinden, die selbst auch Leben bedeuten, die auch Trost bedeuten in diesem In­die­Welt­Gewor­ fen­Sein. Die Musik zuallererst. Weil sie die Sprache für das Unsagbare ist, sich dem am ehesten nähern kann, und für Andreas und Stefan ist es auch buchstäblich Arbeit, das Musikerleben ist hart. In der Nacktheit liegt das auch. Auch als körperliche Nähe – wobei es zwischen Andreas und Stefan immer erst nach Kontakten mit der „Außen­ welt“, die offenbar wie ein Katalysator wirkt, zum Sex kommt – nach dem Lasagne­ Essen mit den Freunden aus dem Orchester, nach dem Sommerfest, nach dem Konzert… Und die Literatur ist wichtig, die vielen unterschiedlichen Stimmen in den Bücher­regalen. Beim Drehen hatten wir oft bewusst Bücher auch im Off liegen, unterm Bett. Ich stellte mir dann vor, dass die schon irgend­ wie ihre Wirkung tun würden, zum Bei­ spiel war Der nackte Soldat von Belmen O ganz wichtig oder Jacques Derridas Tier­ buch, L’animal que donc je suis, und Angelika Reitzers Unter uns schlug einen Bogen zurück zum MÄRZ, der darin vorkommt; das war auch ein Gruß an Angelika. In einer längeren Fassung kommt auch ein Lorca­ Gedicht zur Sprache, über den Schrei als Bratschenbogen, der den Wind anreißt, und auch diese Lust am Spanischen, am Reich­tum der Fremdsprache, teilen die beiden.

 

Der Liebesbeziehung der beiden Männer steht das Orchester als starke kollektive Kraft gegenüber. Ob nun der Kater oder das Orchester – das Innen einer Beziehung zwischen zwei Menschen scheint nicht ohne ein Außen bestehen, zusammengehalten werden zu können. Welche Rolle schreiben Sie dem Orchester zu?

Das ist ein eigener Ort, mit seinen eigenen Regeln, der mir vertraut ist vom Libretto­ Schreiben her; mit einigen Musikern bin ich eng befreundet. Mich fasziniert, wie hart diese Arbeit ist – die ja zuhause weitergeht, alle üben ja bis zu mehreren Stunden auch noch in der „Freizeit“, weil der Druck so groß ist, möglichst gut zu spielen – und dass es dort schon im Kleinen so feine Rangordnun­ gen und Seilschaften gibt, und dass man sich manchmal, mit einem schwierigen Diri­ genten, einem schwierigen Programm, als Schicksalsgemeinschaft erlebt. Auf der an­ deren Seite ist dann die Ausgelassenheit, eine Verspieltheit, tatsächlich geht man auch mitsammen Fußballspielen, und man hat es lustig nach dem Konzert; alle möglichen Nationalitäten kommen zusammen – bei uns Japanerinnen, Holländer, Deutsche, wir hatten Aileen aus Irland, Anaïs und Violaine aus Frankreich, Anders aus Schweden und mit Johannes sogar einen Tiroler in unserm Freundeskreis, und natürlich den Russen Vladimir, der mit Lorenz das zweite, zunächst heimliche Liebespaar des Films bildet – wie eine Spiegelung von Andreas und Stefan, weil auch da der eine am andern festhält, obwohl es auf eine andere Art schwierig und fast unmöglich ist. Aber die Liebe ist grö­ ßer – auch wenn das nur anklingt in einigen wenigen Bildern; das bekommen im ent­ scheidenden Augenblick aber auch Andreas und Stefan mit. Das war mir ganz wichtig, das wollte ich keinesfalls verlieren. Abgesehen davon kann das Orchester auch ein solida­ risches Umfeld sein – wenn der Adrenalin­ spiegel steigt vor dem Konzert, und abseits auf dem Fußballplatz, wenn es zu einer Zu­ wendung kommt, die den verzweifelten Stefan nicht nur tröstet, sondern wirklich stärkt. Dass er diesen Halt erlebt: Ich glaube, das verändert tatsächlich sein Selbstbild; das gibt ihm etwas, einen Glauben an sich selbst – aus dieser Gruppe heraus. Worüber keiner je ein Wort verlieren wird. Da hatten wir solches Glück mit dem Wetter – wir haben uns Regen gewünscht, und es gab Regen! Und dann standen wir im Morgengrauen im Schutzhaus, in der kalten Kegelbahn als Garderobe, und dann ging es hinaus auf die Lichtung… Wir hatten überhaupt mit dem RSO ein Wahnsinnsglück – zunächst konnten wir eine Lücke im Dienstplan nutzen, die wir „das chinesische Fenster“ nannten, nach­ dem eine China­Tournee ausgefallen war. Sonst wäre das zeitlich niemals gelungen! Ich hatte Bauchweh vor dem großen Or­ chesterapparat – aber dann gab es von An­ fang an einfach nur Offenheit, Vertrauen, Entgegenkommen. Und wunderschön war die Arbeit mit den einzelnen Musikerinnen und Musikern, die unsern Freundeskreis spielten. Sie waren in jeder Hinsicht musi­kalisch.

“In mir ist das auch, was haust da in mir und lauert? Warum schäme ich mich so oft? Woher rührt meine Scham? Ich habe Berge von Schuld auf mich geladen.”

In einem ersten Teil nimmt sich der Film Zeit, zunächst einmal „Daheim-Sein“, Gebor- genheit, und in einer langsamen Steigerung Intimität und Sexualität zu erzählen. Er tut dies in einer langen Serie aus Momentauf- nahmen bis zu einem Liebestanz, in dem Körper, Musik, Bewegung, Malerei zu einem Ganzen verschmelzen. Welchen Fragen sind Sie gemeinsam mit Gerald Kerkletz in der gemeinsamen Bildersuche nachgegangen?

Wir wollten „mitatmen“ mit den dreien, mit den Menschen und dem Tier, also möglichst viel Raum für sie haben, und ihnen zugleich aber auch sehr nahe sein. Gerald, der bei allen Proben mit den Schauspielern von An­ fang an dabei war, der ja auch mitgesucht hat im dramaturgischen Sinn, hat mir dann Probeaufnahmen in 1:2,39 Cinemascope gezeigt. Ein Format, an das ich nie gedacht hab, weil ich nicht die Nähe damit verband, die aber durch Geralds Blick entstand. Und es gab uns die Möglichkeit, in den vielen Gruppenszenen mit dem Freundeskreis nah bei den Menschen zu sein, ohne hoch auf­ zulösen – und auch Mensch und Tier gemein­ sam zu sehen. Später, wenn Stefan und Andreas für einige Zeit kaum noch gemein­ sam in einem Bild sind, war dadurch diese Leere, der Garten, das Haus, das viele Weiß, das auch „sprach“. Im ersten Teil wollten wir bewusst ein leichtes Übergewicht des Alltags schaffen, das die Katastrophe wirklich als solche hereinbrechen ließe, wenn man nicht mehr damit rechnet, sondern sich schon eingerichtet hat in diesem Alltag. Und in diesem Alltag sollte es eine gewachsene Nähe geben, auch dank der Nacktheit, die im ersten Teil noch möglich ist, vor der Vertrei­ bung aus dem Paradies. Das war ein großer Punkt – wie erzählen wir diese Nacktheit? Keinesfalls wollten wir sie ausstellen, sie soll­ te sich einfach ergeben. Also suchten wir zunächst gelungene Beispiele unter den Fil­ men, die wir lieben – aber auch abschre­ ckende, und zeigten sie gleichermaßen den Schauspielern, die uns ja ihr Vertrauen schenken mussten – um zu schauen, wohin die Reise gehen könnte. Vor allem kam von Gerald eben dessen Gabe, mitzuatmen – in aller Selbstverständlichkeit und traum­ wandlerisch sicher, das war das größte Ge­schenk, der natürliche Blick, das Gespür nicht bloß Kameramann, sondern director of photography.

 

In einem zweiten Teil findet ihr erneut eine unheimlich intensive Sprache der Trauer, des Schmerzes über den Verlust eines geliebten Wesens, der Frage nach der Schuld, die letztendlich eines der großen Geheimnisse dieses Films bleibt. Wie sehr war auch die Arbeit mit den beiden Hauptdarstellern – Lukas Turtur und Philipp Hochmair – Teil des Entstehungsprozesses?

Da war Zeit das Um und Auf. Natürlich ist man vorbereitet bis ins Letzte, aber in der Begegnung entsteht immer etwas Unerwar­ tetes, von den Schauspielern kommt etwas Spannendes – und schon ist es eine Suchbe­ wegung, in der man sich befindet. Es geht dann darum, eine Zeitlang ruhig zu bleiben und sich auch ein Stück weit zu verlieren – in eine Unkontrolliertheit zu gelangen, in einem geschützten Bereich. Und Zeit zu haben, um geduldig bleiben zu können. Für Lukas war es die erste Hauptrolle; ich kannte ihn von der Bühne, er hatte in einem Thea­ terstück von mir mitgespielt, da hatte er etwas hintergründig Verletzliches, das hab ich gesucht für den Stefan. Vor der Kamera hat er die seltene Begabung, in eine durchläs­ sige Konzentriertheit zu kippen – und dazu ist er hochmusikalisch, auch am Horn; da half zwar sicher, dass er seit fünfzehn Jahren Klarinette spielt, aber der Lippenansatz, die Grifftechnik, die Haltung, die Atmung – all das war Neuland; wir hatten da Christoph Walder als Coach zur Seite, noch so ein Glücksfall. Und mit Philipp war ich ungefähr genausolang schon befreundet, seit ich ihn in Sarah Kanes Gesäubert erlebt hatte, das war gleißend. Wir hatten immer schon ge­ meinsam etwas machen wollen, dachten an ein Theaterstück – bis plötzlich doch der KATER im Raum stand. Philipps Instinkt ist ungeheuer, und auch er ist durchlässig im Spiel – und im Casting waren die beiden vom ersten Augenblick an ein aufregendes Paar – von dem ich dachte, „die möchte ich näher kennenlernen in ihrem Zusammenspiel“, ich hatte richtige Entdeckerlust. Das kam einer Erlösung gleich – denn der Castingprozess war aufwendig und nicht einfach gewesen, weil die Chemie, die berühmte, ja stimmen musste.

 

Was bestimmte im Casting die Suche nach den Hauptdarstellern?

Zuallererst die Sprache; ich suchte da etwas Weiches, Warmes, drum hatte ich die Dialoge auf Wienerisch geschrieben, auch Bayrisch konnte ich mir vorstellen, und so kam es schließlich auch – mit Lukas Turtur aus München. Aber leider schränkt so eine Vorgabe den Kreis arg ein, ich hab es zwar versucht mit tollen Schauspielern aus Köln und Berlin, das klang jeweils „daneben“ – wie neben der Spur, im Kern falsch. Und dann war die erste Frage, die ich stellen musste, diejenige nach der Bereitschaft zur körperli­ chen Nacktheit. Wobei ich da stark unter­ schätzt habe, dass erstaunlich viele Angst davor haben – auch Schauspieler, die an sich doch mit ihrem Körper auch im Sinn eines Instruments arbeiten, sodass ich ge­ dacht hab, das müsste ihnen leichter fallen, als sich’s dann erwiesen hat. Aber das war unabdingbar, Adam und Adam mussten ja nackt sein im Paradies – der Schmerz, das Befremden zeigt sich unter anderm ja eben darin, dass ihnen diese Nacktheit, diese Vertrautheit später nicht mehr möglich ist.

 

Wie kann man sich die Set-Arbeit mit dem vierbeinigen Protagonisten vorstellen?

Da waren wir Jäger und Sammler. Das hieß: Geduld, Geduld, Geduld. Und wenn die auf­ gebraucht war: noch einmal einen Schwung Geduld. Und noch einmal, und noch ein­ mal! Wobei ich ja den Toni liebe, also meine Geduld mit ihm unendlich ist. Aber für den Rest des Teams war es, fürchte ich, in Wahrheit extrem anstrengend. Es ging ja auch um konkrete Entscheidungen, was das Bild betraf – gestalten wir das Bild und stecken den Rahmen für Toni ab, oder rennen wir ihm hinterher – Letzteres hat definitiv nicht funktioniert. Also eben: Geduld, Ge­ duld. Dafür wurden wir aber auch immer wieder so schön belohnt – auch, weil Toni von Haus aus ein gesellschaftsfreudiger Kerl ist, der mit dem Team aufgeblüht ist; außerdem bin ich schon Wochen vor Drehbeginn mit ihm nach Hernals gezogen, um ihn ans Haus zu gewöhnen, und nach Drehschluss war ja auch sein Bruder Tino als Spielge­ fährte dabei. Ich hab die beiden aus dem Tier­ heim, jetzt leben sie bei mir – und das ist das wahre Glück. Gemeinsam mit Andi Winter und Gerald gab es auch eigene Uni­ versum­Tage, die wir so nannten, weil wir quasi eine Tierdoku drehten – mit Toni als Protagonist, wie er sein Leben lebt im Haus und im Grünen, wie er sein Revier markiert, Gras frisst, Mäuse fängt, spielt und schläft – da gab es viel schönes Material, von dem wir nur einen Bruchteil verwendet haben. Danach kam unser Klaus Kellermann mit seiner Angel und tat tagelang das Gleiche auf der Tonebene – wir haben Bild und Ton trennen müssen, weil Toni von der Angel fas­ ziniert war… das hat ihn zu sehr abgelenkt auf den Streifzügen.

 

Was KATER so deutlich macht, ist, wie sehr ein tiefer emotionaler Schmerz den Körper erfasst und durchdringt. (Den / die) Körper zu filmen, scheint eines der großen Themen in dieser Kameraarbeit gewesen zu sein.

Das ist etwas, das ich schwer beschreiben kann – das war mit Gerald schon bei MÄRZ so. Es ist eine Nähe im Moment – dieses Mitfühlen, Mitatmen, Mitleben. Ich weiß noch, als ich nach dem ersten Take von All Blues, dem Liebestanz, so dankbar war – auch für Geralds Mitgehen, ungeschnitten war das ein Durchlauf von fast dreißig Minu­ten, den ich am liebsten grad so übernom­men hätte, weil es so anrührend war – da meinte er im Scherz, er tue ja nix, die Schau­ spieler schwenkten ja ihn und nicht um­ gekehrt – ja, das beschreibt es vielleicht am besten: von außen betrachtet haben da drei Menschen getanzt, auf Augenhöhe, ohne Hierarchie, miteinander und füreinander – und einer hatte halt eine Kamera. Die drei waren ja auch mitsammen allein im Raum. Das restliche Team, auch der Kameraassis­ tent mit der Funkschärfe, saß mit mir im Nebenzimmer vor dem Monitor. Übers Bil­ dermachen hinaus hat er aber dieses ganz­ heitliche Sich­Einlassen, von Anfang an – weit früher als das üblich ist, glaub ich. Über KATER haben wir begonnen zu reden schon auf der Heimfahrt von Tirol, nach dem letzten Drehtag von MÄRZ. In den Vor­ bereitungsphasen haben wir intensivste Gespräche über Tage und Wochen, und es gibt gemeinsame Bücher und Filmlisten, die abgearbeitet werden – und dann wird das immer weniger – und am Set reden wir dann kaum noch, da fühlt sich dann oft unausgesprochen alles einfach richtig an zwischen uns.

„Wir wollten ‚mitatmen‘ mit den dreien, mit den Menschen und dem Tier.“

Was den Film stark charakterisiert, sind sein Rhythmus und die Musik. Ein Rhythmus, der nicht nur von Ellipsen und Auslassung bestimmt ist, sondern im Gegenzug anderen Momenten sehr viel Zeit lässt. Wie wuchs der Film im Schnitt und mit der Musik zu einem Ganzen zusammen?

Die Arbeit mit Joana war wieder sehr schön, unser Gleichklang – und dass wir die Erfahrung von MÄRZ hatten, das Vertrauen in die Auslassungen. Schon ins Drehbuch waren stellenweise jump cuts eingeschrie­ ben, und mit den vier Bildtafeln am Anfang und ihrer Musik, die hart geschnitten ist, klingt das auch an – andererseits hatten wir Inseln, die schon in der Auflösung feststan­ den, mit der Entscheidung für ungeschnitte­ ne „Echtzeit“ zum Beispiel an den Wende­ punkten – wenn allein das Schauspiel den Film rhythmisiert. Oder die Ausflüge mit Moses, die ein Abenteuer waren im Schneide­ raum – auch da brauchten wir den langen Atem: Herantasten, Schauen, Verlieren, Wiederfinden… dank Joanas Instinkt. Und  die eigene Welt der Geräusche – die wesent­ lich sind. Dem paradiesischen Haus haben wir kleine Verschmutzungen gegeben und es näher an die Stadt herangerückt mit Straßenlärm, den es dort oben in Wahrheit nicht gibt. Aber das Wichtigste kam aus dem Haus selbst, das Knarzen des alten Par­ kettbodens. Wenn das Paar in der Stille tanzt, ist dieses Knarzen sein Begleiter, seine Musik.

„Ich suchte da etwas Weiches, Warmes, drum hatte ich die Dialoge auf Wienerisch geschrieben.“

Mit der Schlange, die das ungetrübte Sein zwischen zwei Menschen zerstört und auch dem Kater als „Findelkind“ Moses in seinem Korb ist eine klare biblische Symbolik prä- sent, die von der Vertreibung aus dem Para- dies erzählt, aber mit Moses auch einen möglichen Retter / Befreier impliziert.

Wobei ausgerechnet Moses diese kleine Schlange ins Haus trägt – und ausgerechnet Stefan ihr einen Schutz aus Steinen baut! Wirklich biblisch an Moses aber ist seine Nacktheit – ja, er hat sein Fell, aber damit ist er in seiner Natur – und die entspricht den Menschen, wenn sie nackt durchs Haus gehen im Zustand der Unschuld. Aber Moses hat seinen eigenen Kopf, und sein ei­ genes Leben.

 

Ob es Versöhnung oder Heilung geben kann, lässt KATER offen. In einem Gespräch gegen Ende des Films wird klar, was es heißt, sich auf einen anderen Menschen in seiner Gänze einzulassen. Insofern ist KATER mehr als MÄRZ über die Thematik von Trauer und Verlust hinaus, ein Film über die Liebe zwischen zwei Menschen. Wir erfahren ja in Andeutungen auch über verschiedenste Konstellationen im Orchester.

Dieses Gespräch ist wie ein Neu­Aufstellen, ein Wendepunkt. Man stellt sich hin und schaut gemeinsam etwas an, spricht bewusst etwas aus, das einen lang schon beschäftigt und bedrückt – etwas, das wesentlich ist fürs weitere Zusammenleben. Lang greifen die alltäglichen Augenblicke ineinander, man tut halt, was ansteht – aber dann kommt es doch zu einem solchen entscheidenden Mo­ ment. Dem Innehalten. Auch im Bad als Schattenriss, vor dem Blick in den Spiegel – und im Garten auf der Wiese, wenn Stefan aus dem Tierheim kommt. Und es gibt äußere Handlungen, die etwas heilen – wenn der „böse Baum“, der Stefan ein Auge gekostet hat, zu Brennholz zerschnitten wird, atme ich auf.