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PRESSESTIMMEN

Sterben als Akt des Lebens - Noch in kaum einem Film wurde das Sterben so ausführlich gezeigt.

Götz Spielmann ist für kompromisslose Ansätze bekannt — bei der Suche seiner Figuren nach Identität und nach den essenziellen Dingen des Lebens.

volksblatt.at, 8. November 2013
Philipp Wagenhofer

Sterben als Akt des Lebens

Götz Spielmanns faszinierendes Familiendrama „Oktober November“

Noch in kaum einem Film wurde das Sterben so ausführlich gezeigt. Götz Spielmann ist für kompromisslose Ansätze bekannt — bei der Suche seiner Figuren nach Identität und nach den essenziellen Dingen des Lebens. Das war etwa in „Revanche“ so. Und das ist in „Oktober November“, dem jüngsten Film des gebürtigen Welsers, nicht anders. Ein präzise inszenierter und fotografierter, ruhig fließender Film, der fesselt. Die wunderbaren Bilder stammen von Martin Gschlacht.

Zwei recht unterschiedliche Schwestern kommen sich über den Tod des Vaters näher, lernen sich zu respektieren. Nora von Waldstätten — man könnte sich keine andere Mimin in dieser Rolle vorstellen — gibt die in Berlin lebende Fernsehschauspielerin Sonja. In der Öffentlichkeit setzt Sonja ihre makellose Fassade auf. Sie wirkt distanziert, höflich, aber kühl. Privat ist sie einsam, sieht über die Straße den Nachbarn beim Feiern zu.

Ihre Schwester Verena ist im elterlichen Betrieb, einem mittlerweile geschlossenen Wirtshaus auf dem Land, geblieben, wo sie sich um Mann, Sohn und Vater kümmert. Ursula Strauss verleiht dieser facettenreichen Figur, die sich eigentlich mehr vom Leben erwartet hätte und ein wenig eifersüchtig auf das Leben Sonjas ist, Wahrhaftigkeit. Als der Papa um Haaresbreite einen Herzinfarkt überlebt, kommt auch Sonja nach Hause.

Die unerträgliche Oberflächlichkeit

Ohne jede Hektik entwickelt Spielmann sein Familiendrama, das nun, wo alle versammelt sind, alte Wunden aufbricht. Verena sei vom Vater immer mehr geliebt worden, ist sich Sonja sicher. Und Verena, die recht bodenständig wirkt, aber durchaus Intellekt für sich in Anspruch nimmt, kann die Oberflächlichkeit der Schwester nicht ertragen.

Beim Sterben des Vaters, das Spielmann in langen Kameraeinstellungen zeigt, wird der Raum durch die sich ändernden Positionen der Schwestern genützt, durch ihre Präsenz belebt, die sich in kleinsten Details zeigt. Ein Blick, den sie sich zuwerfen, kann voll von Emotionen sein, kann Vertrauen oder Missfallen bedeuten. Und wenn sich eine Träne Bahn bricht, muss sie nicht dem Vater gelten, sie kann die eigenen Situation betreffen. Es ist ein schmerzhafter und zugleich befreiender Prozess, der sich in diesem Sterbezimmer abspielt, ein Akt des Lebens.

Seinen Part als gebildeter Landarzt, in den Verena ihre Sehnsüchte projiziert, erfüllt Sebastian Koch grandios unaufdringlich. Peter Simonischek als einst polterndes Familienoberhaupt wirkt durch seine Nahtoderfahrung milde und ohne Angst. Er fällt in Agonie, sein Körper zuckt, hie und da ein Röcheln — Simonischek überzeugt als Patriarch mit seiner bestimmenden Art, als Vater, der ein letztes Geheimnis lüftet, später auf dem Sterbebett in jeder Nuance, die man in seinem Gesicht lesen kann, im Aufbäumen, das dem Verlassen des Körpers vorangeht.